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Durch die Blume Liebe geht durch den Magen, sagt man. Und Wahrheiten? Durch die Blume! Vornehmlich dann, wenn die nackte Wahrheit mit der Tür ins Haus zu fallen droht. Oder wenn sie in ihrer prosaischen Nüchternheit das Vehikel ihrer Botschaft vermissen läßt: die Schönheit. Dann erleben Blumen ihren „wahren“ Auftritt. Denn Blumen gefallen, sind weder anstößig, noch anrüchig, ideale Herolde also für angenehme wie unbequeme Wahrheiten. Selbst die giftigste Spezies lockt mit ihrem Aussehen, die übel riechendste fasziniert durch ihren Bau, die gestorbene durch das friedliche Bild ihrer Vergänglichkeit. Wir können den Blumen ihre Schönheit nicht übel nehmen. Da sie weder Blut noch Sperma haben, sondern Saft und Früchte sind sie uns fern und gleichzeitig doch so nah. Wer Blumenbilder in das Reich der Tiere und des Menschen übersetzt, müßte gelegentlich vor Schamröte in den Boden versinken oder erzürnt nach dem Verbot floraler Pornografie und vegetabilem Inzest rufen. Aber kein Ruf nach Zensur erschallt. Denn Blumen sind schön, egal ob sie die tabuisierten, dunklen oder hellen Seiten des Lebens zeigen. Immer können wir sagen: „Oh es ist nur wilde Natur, amoralisch, aber faszinierend“, auch dann, wenn Blumen vom Menschen und seinem Leben sprechen. Die Geschichte der Blumenbilder und Bilder von Blumen ist bekannt. Arabeske, Stilleben, Schmuck und Zierde, Symbole, Mataphern und Porträt, sie alle haben sich der blumigen Flora bedient. Und sie haben es vor allem deswegen getan, weil wir „es“ durch sie sagen können. Mit Blumen können wir vom Kampf des Proletariats oder von Gott sprechen, wenn sein Bild verboten ist. Mit Blumen können wir die Bibel zitieren, ein memento mori farbig-freundlich gestalten, ein Liebesgedicht vortragen oder an die Schönheit alles Irdischen erinnern. Selbst das 20. Jahrhundert, in dem Max Webers Wort von der Entzauberung mehr denn je fruchtete, hat die Blume nie vergessen. Zwar streifte sie zweitweise die Regionen des Banalen, dessen was hübsch, aber nicht schön ist, wie in Andy Wahrhols bunten Blümchen. Aber vorrangig stand sie im Dienste künstlerischer Aneignung und substantieller Aussage. Bei Carl Blossfeldt, dessen Pflanzenfotografien schon längst zum modernen Klassiker avanciert sind, stand oft die strukturelle Analogie von Natur und Technik im Vordergrund, das staunende Augenmaß für den intelligiblen Bau dieser Welt. Robert Mapplethorpe stilisierte die Blume zur Skulptur, von einfühlsamer Lichtregie gestaltet und von bestechender, eleganter, makelloser Präsenz. Reine Ästhetik mag man einwenden. Doch vor Mapplethorpes Hintergrund, seinem bedingungslos fotografischen Einsatz für Menschen jenseits „normaler“ Sexualität, erhalten seine Bilder floraler „Exoten“ eine zweite, durchaus humane Bedeutungs- und Berechtigungsebene. Von solch Exotentum ist in Nick Baginskys Blumenbildern kaum
etwas zu sehen. Seine Pflanzenaufnahmen stammen aus Nachbarsgarten - soweit
jedenfalls die Anspielung des spanischen Titel „Sa rota“. Bei ihnen handelt es
sich um mediterrane Pflanzen, die näher an den Subtropen als am transalpinen
Norden gelagert die Jahreszeiten in gleitenden Übergängen erleben. Mit der
Folge eines fast tropischen Nebeneinanders von aufkeimenden und absterbenden
Leben, der Gleichzeitigkeit von Blüte und Verwesung, Keim und Frucht. Zugunsten
dieser Prozesse verschwinden in Nick Baginskys Aufnahmen auch die Pflanzen
selbst aus dem Visier. Bei seinen Aufnahmen von Blättern, Blüten oder Früchten
handelt es sich um keine Objekte, keine Modelle oder um autonome Gebilde, die
ihrer immanenten Schönheit wegen in Erscheinung treten. Vielmehr setzen mit
ihnen Erzählungen vom werdenden und aufbegehrenden Leben, vom Tod und seinen
grotesken Verformungen, vom parasitären Dasein der Insekten ein. Ein wenig
erinnert Baginskys Blick dabei an den Blick der frühen Maler von Erdstilleben
und Waldstücken. Wie diese sich im Stilleben auf das „niedere“ und bodennahe
Wirken der Pflanzen, Insekten und Kriechtiere konzentrierten, orientiert sich
auch Baginsky am erdnahen und mikrokosmischen Geschehen. Doch bei seinen
„Stilleben“ handelt es sich tatsächlich um vorgefundene Situationen, während
die altmeisterlichen Erdstilleben die Authentizität des Ortes nur inszenierten.
Baginskys Blick richtet sich dabei oftmals auf nur eine Stelle im Bilde – die
Zone der Tiefenschärfe –, während sich der Rest in einen flächig-malerischen
Hinter- bzw. Vordergrund auflöst. Statt den Überblick über den Mikrokosmos
eines Biotops zu verschaffen, wie es die Erdstilleben mit ihren
dioramaähnlichen Entwürfen suggerierten, lenkt Baginsky damit die Aufmerksamkeit
auf ausgewiesene Stellen: auf das Nebeneinander von Tod und Leben, den
weitaufgerissene Höllenschlund einer versengten Frucht, auf den bodennahen
„Kabelsalat“ aus Stengeln und Stielen. Und ebenso tritt in Erscheinung, was im
Vorurteil von der Natur und ihren Daseinsweisen nicht sein darf: dass das
Natürliche im Gewand des vermeintlich Künstlichen erscheint, in Farben, deren
Pallette scheinbar dem Kitsch angehören. So tauchen in einem der Bilder
ultrapinke Blütenblätter vor strahlend türkisem Himmel auf, als wärs das
großflächige Dekor einer Tapete. Doch ist hier nichts gekünstelt oder digital
manipuliert, nichts gestellt oder arrangiert. Alles ist dokumentarisch, selbst
der Ausschnitt „naturbelassen“. Allein die Grössenverhältnisse spielen verkehrte
Welt. Denn in Wahrheit spielt sich das alles hier unbemerkt ab, versteckt im
Gesamteindruck eines ganz normalen Gartens. Die Größe bringt es nur ans
Tageslicht, eben das, was durch die Blume gesagt wird. Wolf Jahn, April 2004 |
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