Die Installation "Narcisssism Enterprise" präsentiert sich als ein dunkler, gedämpfter Raum, der jeweils nur wenigen Personen zugänglich ist.
Ein Steg mit einem Geländer führt vom Eingang zu einer kleinen Aussichtsplattform.
Auf dieser Aussichtsplattform wird das Bild des Besuchers von zwei Videokameras erfaßt.
Eine der Kameras ist fest installiert.
Eine weitere Kamera ist winzig klein und wird von einem spinnenbeinartigen Roboterarm getragen.
Diese Kamera folgt den Bewegungen des Besuchers.
Ein lernfähiges System -zusammengesetzt aus mehreren Computern- verarbeitet die Bildsignale beider Kameras und generiert hieraus verschiedene Bildsequenzen,
die mit drei hochauflösenden Videoprojektoren auf lichtstarke Rückprojektions-Leinwände abgebildet werden.
Diese drei Leinwände bilden einen hohen vertikalen Schacht, in den die obengenannte Aussichtsplattform ragt.
Alle Flächen des Schachtes (mit Ausnahme der Leinwände natürlich) sind tief-schwarz und unsichtbar.
Die Arbeit "Narcissism Enterprise" ist eine Weiterentwicklung meiner Skulptur "Elizabeth Gardner"/ Hamburger Kunsthalle.
Das Gesichterkennungssystem der Skulptur "Elizabeth Gardner" bildet die Grundlage für den Wahrnehmungsmechanismus von "Narcissism Enterprise".
Aus den eingehenden Videobildern findet, extrahiert und rekombiniert ein Subsystem Gesichtsteile: Augen, Nasen, Münder.
Eine Eigenart dieses Bildverarbeitungssystems ist es, eine interne Repräsentation der signifikanten Bildreize in den synaptischen Verbindungen der neuronalen Netze abzulegen.
Diese Repräsentationen fügen Merkmale der vom System gesehenen Gesichter in Untergruppen zusammen.
So entstehen Bilder, die signifikante Eigenheiten der der verschiedenen Gesichter -beispielsweise aller "dunkelhaarigen mit Oberlippenbart"- zu einem neuen Gesicht vereinen.
Klassen wie "dunkelhaarig mit Oberlippenbart" sind nicht vorgegeben, sondern werden vom System dynamisch erzeugt.
Das System charakterisiert die Ausstellungsbesucher nach gänzlich eigenen Kriterien.
Es entstehen im Verlauf der Ausstellung die Bilder, die sich aus Merkmalen verschiedener Ausstellungsbesucher zusammensetzen.
Das Projekt "Narcississm Enterprise" vereint zwei klassische Themen. das Motiv von Narziss, der der Liebe zum eigenen Spiegelbild zum Opfer fällt, trifft hier auf den magischen Spiegel aus Dornröschen der die in den Spiegel blickenden klassifiziert und über sein Urteil Auskunft gibt.
Die Faszination, die unser eigenes Spiegelbild auf uns ausübt, steht in einem elementaren Zusammenhang mit dem was wir Selbstbewußtsein nennen. Dieses explizite Wissen über sich selbst, welches man vom Erkennen des eigenen Spiegelbildes ableiten kann, kennen wir nur von einigen wenigen Primatenarten und vom Menschen. Das hingezogen sein zur eigenen Reflexion scheint ein archetypisches Moment der Selbst-Bewußtwerdung zu sein. Schon bei kleinsten Kindern läßt sich beobachten, das sie, lange bevor sie lernen mit den abstrakten Symbolen z.B. der Sprache umzugehen, das sie vor spiegelnden Flächen verweilen um sich an ihrem Ebenbild zu erheitern. Im Zuge des Erwachsenwerdens wird uns dann alsbald aber dieser Spaß vergällt: Der "Spiegelaffe" ist bei Erwachsenen verpönt.
Erst durch die Einführung neuer Medien wie z.B. Video ist diese Form der Selbstbefriedigung in der Öffentlichkeit wieder möglich geworden. Man denke an den Effekt, den eine in einem Schaufenster aufgestellte Videokamera - Monitor Kombination auf Passanten hat. Vorbeigehende werden von Ihrem Videobild Eingefangen und zum spielen mit sich selbst verführt. Den gesteigerten Grad der Entrücktheit, den das Kamerabild auf dem Monitor im Vergleich zum Reflexionsspiegel an den Tag legt (das Bild ist nicht spiegelverkehrt) nutzen wir bereitwillig für unser Amüsement.
Narcississm Enterprise präsentiert sich dem Besucher als ein Triptychon von Video- bzw. Datenprojektionen. Auf zwei der drei Bildflächen generieren ein Kameraroboter und eine speziell zu diesem Zweck entwickelte Gesichtserkennungssoftware Folgen von idealisierten Portraits des Ausstellungsbesuchers. Die dritte Bildfläche stellt das Langzeitgedächtnis der Installation dar. Hier klassifiziert ein künstliches Neuronales Netz die Resultate der vorgeschalteten Gesichtserkennung. In jeder der etwa 70 Kategorien der Klassifizierung erzeugt das System Idealbilder aus den der Kategorie zugeordneten Portraits. Hier entstehen im Verlauf der Ausstellung Bildtafeln, die in ca. 70 Einzelbildern alle Ausstellungsbesucher fragmentarisch beinhalten, die auf das System einen starken Eindruck gemacht haben. Das Langzeitsystem hat keinerlei Vorkenntnisse. Alle Kriterien für die Klassifizierung der Gesichter werden im Verlauf der Ausstellung aus den Eigenheiten der angebotenen Gesichter generiert.
Die Installation wurde bisher als reduzierter Testaufbau in drei Städten gezeigt: Rotterdam, Chicago und Budapest. In jeder der drei Städte ließ sich völlig unterschiedlicher Umgang mit dem Kunstwerk beobachten. Auch die entstandenen Klassifizierungstafeln weisen stark unterschiedliche Strukturen auf (z.B. das Vorhandensein von Kategorien mit Menschen schwarzer Hautfarbe in den amerikanischen Tableaus).
Durch Präsentation der Arbeit in unterschiedlichen Ländern bzw. Kulturkreisen soll im Verlauf der nächsten Jahre eine umfangreiche Sammlung dieser Gesichtstableaus entstehen.
Baginsky Oktober 1998
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