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Nils Röller (Kunsthochschule für Medien, Köln)

NICOLAS ANATOL BAGINSKY
Unruhestifter im küstlichen Maschinenpark

Würden Sie Maschinen einen Platz in Ihrer Kunstsammlung einräumen? Würden Sie kettenrasselnde Zahnradgetüme neben Joseph Beuys Innere Mongolei stellen? Schlottrig verpackte Quasis an die Tischgesellschaft von Katharina Fritsch setzen? Oder Elizabeth Gardner erlauben, die Mona Lisa von Leonardo da Vinci oder Marcel Duchamp anzuflimmern?
Die Maschinen, die Nicolas Anatol Baginsky in die Welt setzt, verunsichern. Killer Asseln nennt Baginsky eine frühe Maschinengeneration. Der Name ist Wortspiel und Programm. Er formuliert spöttisch Besorgnis über die perfekten Maschinenglieder, die aus der Kriegsindustrie stammen. Die Sorge ist ein Schritt, um das Verhältnis von Mensch und Maschine genauer zu bestimmen. Maschinen sind auf dieser Ebene Produkte, die die Menschheit hervorbringt und sich mit ihnen in eine Vernichtungsspirale begibt, in der Mensch und Maschine sich gegenseitig kontrollieren und belagern.

Die nächste Maschinengeneration Baginskys sind die Quasis. In ihnen wird nicht der vernichtende Aspekt von Maschinen untersucht, sondern die Verachtung des Menschen für Maschinen ist das Thema. Die Quasis sind unbeholfene Gegenstände, die sich linkisch wie kleine Versager verhalten und dem Betrachter den Eindruck vermitteln, daß Maschinen Mitleid verdienen. Sie sind mißratene Wesen, die vom Fortschritt beiseite geräumt werden, weil sie nicht den Vorstellungen von Wirtschaftlichkeit entsprechen.

Elizabeth Gardner ist der Titel einer weiteren Maschinengeneration. Der Name gehört einer Forscherin, die ihr kurzes Leben der Untersuchung von Nervenzellen und der Entstehung von Denken gewidmet hat. Gardner hat die Frage gestellt, ob Maschinen denken, also ob es künstliche Intelligenz geben kann. Diese Frage übernimmt Baginsky und setzt sie in eine Situation um, in der sich der Betrachter der Maschine verwandelt. Er wird zu ihrem Gesprächspartner und damit zu jemanden, der die Maschine wie ein Lebewesen behandelt. Wenn man Elizabeth Gardner die richtigen Fragen stellt, antwortet sie.

In Baginskys Maschinen wird die Künstlichkeit der Laboratorien künstlerisch erarbeitet. Er erbt aus der Tradition der Wissenschaftler und der Automatenbauer die Frage, was den Menschen auszeichnet und gibt hierauf als Künstler Antworten. Menschen sind nicht perfekte berechenbare Wesen und Menschlichkeit beginnt dort, wo man sich auf die Frage, was der Mensch ist, einläßt. Baginsky läßt sich darauf ein, indem er unbequemen und wunderlichen Gewohnheiten durch Maschinenbewegungen Ausdruck verleiht. Was unterscheidet den Menschen von Maschinen. Mit dieser Frage hat der Philosoph René Descartes gerungen, als er nach Maßstäben für wissenschaftliches Erkennen gesucht hat, diese Frage stellt der Computerpionier Alan Turing, um die Einwanderungspolitik amerikanischer Behörden zu kritisieren und diese Frage steckt auch hinter Duchamps "Möglichkeit mehrerer Farbtuben ein Seurat zu werden". Diese Frage wird immer dann aktuell, wenn das Selbstverständnis des Menschen durch technische Entwicklungen berührt wird. Baginsky nähert sich der Frage mit dem künstlerischen Wissen, das durch die Tradition der Frage, was Kunst ist, enstanden ist. Seine Werke machen die Maschine zu einer Frage der Kunst. Liegt das Wesen der Kunst im perfekten Handwerk, der geschickten Ins-Werk-Setzung der "Möglichkeit mehrerer Farbtuben ein Seurat zu werden", oder ist Kunst durch die Sensibilität für Grenzbereiche zuständig, dort, wo etwas Anderes das Bewußtsein irritiert, das sich nicht durch Berechnung befrieden läßt?

Nils Röller, Köln 1995