catalogue

Nicolas Anatol Baginsky
"Elizabeth Gardner"

Quasi Modo geneti
"Wie eben erst geboren".
(Erster Sonntag nach Ostern und Eingangsworte der Messe)
Ein Text von Frank Barth und Annelie Lütgens,
Hamburger Kunsthalle, 1993

Elizabeth Gardner, 1957 bis 1988
Elizabeth Gardner, geboren in Cheshire, wächst in Schottland auf. Die Eltern, beide Naturwissenschaftler, fördern behutsam die früh auffälligen Begabungen ihrer Tochter, die bereits im erstaunlichen Alter von zwei Jahren der Großmutter die Sternbilder weist: "that´s the Plough, and thast´s Orion ..."
Von ihrem 12. Lebensjahr an betreibt sie systematisch Forschungen auf den Gebieten der Geodäsie und der Astronomie. Das Mathematik- und Physikstudium wird mit hervorragenden Ergebnissen absolviert. Es charakterisiert die zum Beispiel in akademischen Prüfungen äußerst zurückhaltende und spröde wirkende junge Frau, daß sie in wissenschaftlichen Diskussionen hingegen ihre Positionen leidenschaftlich, offensiv und überzeugend vertritt. Aus dem Studium der mathematischen Physik und der Untersuchung des "Spin Glass"-Efektes, der Erforschung der Gesetzmäßigkeiten, nach denen sich chaotische Teilchen zu übergeordneten Einheiten konfigurieren, entwickelt sie Schemata für Rechenverfahren, Algorithmen, zur Erkennung von "Mustern" und zur Ableitung möglicher Folgen von "Antworten".
Sie stirbt bereits im Alter von 30 Jahren an einer schweren Krankheit, der sie sich mit bewunderswerter Haltung stellt. Die Leistungen ihres kurzen, ganz und gar der Forschung verschriebenen Lebens gelten unter Naturwissenschaftlern als Paradebeispiel für brilliante Kreativität und vorbildliche Würde, geprägt durch Reinheit der Forschung und Ethos des Wissens.

Nicolas Anatol Baginsky, geb. 1961
Nicolas Anatol Baginsky, geboren in der Nähe von München, stammt aus einem künstlerischen Elternhaus; der Vater ist Regisseur die Großmutter Bühnenbildnerin und Heilpraktikerin.
1977 werden die Bühnen der Popkultur und der sozialen Brennpunkte der Städte von den Protagonisten der Punkbewegung vereinnahmt. Sie verleihen dem Lebensgefühl einer ganzen generation eine kulturpessimistische Tendenzdurch den Verweis auf Bösartigkeit und provokative Sprengkraft, die gerade den banalsten Dingen innewohnen, wenn ein maliziöser Gebrauch ihnen andere Bedeutungen zuordnet. Aus dem programmatischen Verzicht auf Virtuosität zugunsten anarchistischer Energieentfaltung und Intensität wird eine Attitüde nach dem Motto "live fast, die young".

Baginsky verläßt 1978 die Schule, um sich in Hamburg, dem damals schillernsten Zentrum der deutschen Szene, im Umfeld von "Ripp Off" unbd "Abwärts" den Herausforderungen des Lebens zu stellen. Er arbeitet als Bühnenbildner, paralell dazu entwirft und baut er Sthlmöbel, die bereits 1982 in Namenhaften Ausstellungen gezeigt werden.
Autodidakt in allen seinen Aktivitäten, beginnt der geniale Dilletant nach einem zweijährigen Intermezzo als Designer in New York sich Kenntnisse der Kybernetik anzueignen und die Lernprzesse sich selbst optimierender technischer Systeme zu untersuchen. Im Zuge seiner Beschäftigung mit Modellen neuronaler Netzwerke stößt er auf die für dieses Metier grundlegenden Forschungen von Elizabeth Gardner und konstruiert "intelligente" Maschinen, die er zunächst als Akteure in Performances mit Tänzern und Musikern korrespondieren läßt. In der Folge beginnen Roboter sich Schritt für Schritt aus den Abhängigkeiten ihrer Bühnenfunktion zu befreien und sich neues Terrain zu erobern: Eingesetzt an den Schauplätzen des Alltags, interagieren sie mit Passanten und anderen Lebewesen, die sich durch sie zugleich fasziniert und beunruhigt zeigen.
Die vier Angehörigen der QUASI-Familie machen als "kybernetische Haustiere" Furore. Ihr Schöpfer widmet sich nun ganz dem psychologischen Spiel der Wechselwirkungen zwischen Lebewesen und Maschinen: "Was für Gefühle kann so ein mathematischer Mechanismus erwecken oder darstellen?"

"Elizabeth Gardner", 1993
"Elizabeth Gardner" ist das jüngste Geschöpf Nicolas Anatol Baginskys und entstammt einer langen Genealogie wunderbarer Maschinen, in denen sich die ständige Bemühung des menschlichen Geistes vergegenständlicht, die Geheimnisse des Lebens zu enträtseln. Seine Ahnengeschichte umfaßt die Pygmalionlegende und die Überlieferungen von den Erfindungendes Dädalus, die kabbalistisch-magischen Mythen vom Golem und die alchemistischen vom Homunculus. Der dem Menschen eingeschriebene Glaube an die Macht der Künste, erschaffen zu können und nicht nur nachzahmen, und das Scheitern dieser Bemühungen in Vergeblichkeit oder Katastrophe sind vielfältig leterarische Fiktion geworden.
In den Automaten der großen Erfindergestalt Jacques de Vaucanson feierte im Rokoko die Kunstfertigkeit, komplizierte organische Bewegungen durch Mehanismen ausführen zu lassen, senationelle Triumphe. Der Mathematiker d´Alambert widmete ihnen -dem Flötenspieler, dem Trommler, der künstlichen Ente- im Jahre 1751 begeisterte Beschreibungen.
Am Ende wandte sich das Genie der Mechanisierung der Produktion zu. De Vaucanson verbesserte die Spinn- und Webmaschinerie, indem er sie nach den Prinzipien überarbeitete, die z.B. die Fingermechanik seines Flötenspielers steuerten. Das Wunderbare vermählt sich mit dem Nützlichen. Oder in den Regelkreisen "intelligenter" moderner Waffensysteme- mit dem Tödlichen.
"Elizabeth Gardner" führt uns zurück zu den ursprünglichen Fragen, die das Mensch-Maschinen-Verhältnis aufwirft...